
Text anlässlich des Sommerfests des Archivs der vollen Bäuche, 27.06.2024
«Ein Leben ohne Butter ist ein Irrtum» – Johanna Adorjan
Der erste Sommerabend auf dem Balkon, D ist wieder saisonale Raucherin, ich rupfe derweil allerlei Essbares von ihren Balkonstauden ab und stopfe es mir in den Mund. Ich bin dankbar dafür, dass D mich niemals dafür scheltet. Nicht einmal dann, als ich zu den Cherrytomaten übergehe. Wir swipen stattdessen auf OKCupid. Wir schweifen ab: Sie fragt mich, ob ich eigentlich einen Typ habe. Ich überlege kauend. Nein, sage ich dann. Mir fällt beim besten Willen keine Regelmässigkeit auf, wenn ich die Menschen betrachte, die ich lieb(t)e und begehr(t)e.
Eine Woche später, der Sommer ist wieder weg, suche ich ihn kulinarisch zu ersetzen. Ich denke über den heutigen Archiv-Anlass nach: Sommeressen, Sommerfeste, Sommererinnerungen. Ich wühle mich durch die Bücherberge in meinem sogenannten Wohnzimmer und stosse dabei auf C Pam Zhang «Wo Milch und Honig fliessen». Darin: Ein Soufflé Cheesecake, der den Sommerbeginn markiert in seiner Vergänglichkeit. Das passt, denke ich um den Sommer bangend, während ich lese:
«Und so ging uns die Milch aus. Aber vorher kosteten wir noch das Glück von Sahne und Cremes, quellende, samtige Saucen, einen Sommer des Genusses, der mit einem Soufflé Cheesecake begann. Man braucht nur sehr wenig Zutaten. Das Geheimnis des Kuchens ist weder Butter noch Sahne, sondern seine Vergänglichkeit. Wenn er aus dem Ofen kommt, ist er perfekt, aber schon im nächsten Moment kühlt er aus, sackt zusammen, kollabiert unter dem Gewicht der Zeit. Ein Geschmack, den kein Gast und keine Kritiker*in kostet, der ausschliesslich im Nachhall der Erinnerung auf ein oder zwei Zungen existiert. Trotz allem, was danach geschah, nehme ich diesen Sommer, weich wie warmen Teig, in meine Hände und sage: So ist es gewesen, und dies sind die Menschen, die wir waren.»
Es ist die Vergänglichkeit bei C. Pam Zhong, die mich auf die Butter bringt. Dinge, die bei Raumtemperatur schmelzen, machen mich nervös. Und ich liebe sie. Ich liebe Eis, ich liebe Butter. [Habe ich etwas vergessen, denke ich, während ich «Dinge, die schmelzen» google] Vor allem im Sommer. Ich esse gerne schnell und es kommt mir entgegen, eine Legitimation dafür zu haben. Je heisser es ist, desto schneller muss ich schlingen. Wenn ich auf Sommernachtspaziergängen mit N oder J oder D kurz vor Ladenschluss um 22 Uhr noch Eis hole und meines innert Minuten weg ist, darf ich das der anderen manchmal auch noch zu Ende schlecken. Ich nehme oft die grosse Portion, wenn andere die kleine nehmen, aber es nützt nur bedingt.
Bei der Butter verhält es sich ein wenig anders: Zu kalt ist sie nicht streichbar, dafür bleiben die Zahnabdrücke so schön haften [in Japan gibt es ein eigenes Wort dafür]. Ich schneide sie dünn in Scheibchen und lege sie behutsam aufs Brot. Warme Unterlagen steigern meine innere Unruhe: Eine heisse Kartoffel zum Beispiel – es ist nur ein ganz kurzer Moment, in dem die Butter weich genug, aber noch nicht komplett flüssig und strukturlos ist. Teil meiner Butterliebe gilt ihrer Konsistenz und flüssig erscheint sie mir mit Abstand am langweiligsten. Auch ist es der Kontrast von kalter, harter Butter auf etwas weichem, warmen, was ich leidenschaftlich liebe. Ein kaltes Stück Butter auf warmen Hörnli zum Beispiel, garniert mit Aromat. Jeder Biss bedingt ein neues Stückchen Butter, das ich vorsichtig auf die Gabel lege. Das ist mein GegendieSorgenessen. Das koche ich für mich selbst. Dann, wenn ich alleine und ratlos bin.
Es fällt mir schwer, für mich selbst zu kochen. Auch Rebecca May Johnson schreibt:
«Eins der herausforderndsten Dinge, ist für mich selbst zu kochen, denn es bedeutet, meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen und sie zu erfüllen.» Genuss ist etwas, das ich mit anderen Menschen verbinde, vielleicht sogar von anderen Menschen gelernt habe: «Kulinarisches Wissen ist ein Ausstrecken nach dem Anderen, ein Anerkennen dessen, dass unsere Beziehung zu dem, was jenseits von uns selbst liegt, das ist, was uns nährt.»
«Alleine», muss ich wieder an Johnson denken, «habe ich keinen Namen, keinen Appetit, keinen Körper». Und so ist auch meine Butterliebe etwas, das erst im Ausstrecken nach dem Anderen erwuchs. Ich merke plötzlich: Vielleicht hab ich doch einen Typ. All meine Lieben lieben Butter. So ist es gewesen, denke ich, und dies sind die Menschen, die wir waren. Wir waren, wir sind Menschen, die Butter lieben.
Salzige, mit Schnittlauch oder anderen Kräutern, in Rollen, als Rügeli, in Flockenform, geschlagene Butter, flüssig als Nussbutter oder mit Misopaste vermischt.
Einer hatte die Phantasie, ein Holzstängeli in einen Leib Butter zu stecken, sie einzufrieren und dann als Buttereis zu verspeisen.
In einen anderen verliebte ich mich ob der Art und Weise, wie er die Butterbrote strich. So lange, so geduldig, mit einer solchen Hingabe, dass ich fast wahnsinnig wurde. Aber am Ende hatte die Butter die ideale Konsistenz – veredelt mit Honig zu einer sämigen, wundersam gleichmässigen Paste verstrichen. Wichtig: Die Streicherei beginnt erst auf dem Brot, nicht etwa davor.
Eine hatte ein Faible für Salzbutter aus Dänemark. Diese war schwer zu kriegen hier, wenn nicht sogar unmöglich. Konnte sie aber jemanden dazu bringen, ihr die ersehnte Butter aus Dänemark zu besorgen, strich sie diese nicht etwa auf ein Brot, sondern auf Maiswaffeln. Ohne Belag, ohne Begleitung. Es war wohl gerade der karge Untergrund, der die edle dänische Butter maximal zur Geltung brachte.
Einer hatte ein kompliziertes Morgenritual, das nach zwei Balkonen verlangte, von denen einer im Schatten und einer in der Sonne sein musste. Zuallererst holte er nämlich jeden Morgen die Butter aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Sonnenbalkon. Nach einer gewissen Zeitspanne holte er sie – nunmehr perfekt temperiert – auf die Schattenseite, wo er in der Zwischenzeit seinen Joint geraucht hatte.
Einer kochte zum ersten Mal für mich – unerwartet, nachdem er selbst gerade eben schon gekocht und gegessen hatte – Chicorée an einer Buttersauce. Dazu reichte er mir Brot mit noch mehr Butter: diese verziert mit Bärlauchknospen. Danach küssten wir uns fast im Türrahmen. Heute legt er für mich regelmässig Sardellen in heisse Butter, bis diese sich gänzlich auflösen.
Ich lieb(t)e also diese Menschen und verschenkte Butterglocken und Buttermesser, eine Butterweihnachtskugel, Butterkäppis und natürlich Butter selbst. Alpenbutter, Salzbutter, Butter aus der Molki in Zweisimmen und Butter mit Blumen drin. Ich wurde beschenkt von diesen Menschen: mit einem Namen, einem Appetit und einem Körper.
Genuss ist etwas, das ich von Anderen gelernt habe. Und doch: «Kochen macht auch die Grenzen der Empathie deutlich», schreibt Johnson weiter. Ich kann mir deinen Appetit zwar ansehen, aber ihn mir nicht als meinen eigenen vorstellen und: Ich kann nicht für dich essen. Aber: Wir können es gemeinsam tun, wir können ihn zusammen erleben und zusammen erinnern, den Sommer des Genusses: die Cherrytomaten auf dem Balkon, das Eis, die Butter und deren Vergänglichkeit.
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